Mittelständler auf S21 – Tour durch die Großbaustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof

Aus erster Hand erhielten über 40 Teilnehmer der Mittelstandsvereinigung Ostalb Informationen bei einer Führung durch die S 21 – Baustelle am Hauptbahnhof in Stuttgart. Die Besichtigung begann im Turmforum und setzte sich danach an der Großbaustelle fort. Der komplette neue Hauptbahnhof – historischer Bonatz-Bau von 1927 und die neue Verkehrsstation – können am heimischen PC und am Smartphone interaktiv betrachtet werden.

Das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm umfasst Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm. Das Teilprojekt beinhaltet die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens mit vier neuen Bahnhöfen und 57 km neuer Gleisstrecke. Auf den freiwerdenden Gleisflächen entstehen zwei neue Stadtgebiete: das Europaviertel und das Rosensteinviertel. Allein 118 ha an bebaubare Fläche im Bereich der wegfallenden Gleisanlagen entstehen für eine städtebauliche Neuordnung, davon ca. 50 ha für Wohnbauflächen.

Es ergeben sich zahlreiche Veränderungen und Verbesserungen für Stuttgart und die Menschen aus dem Ländle. Rund 75 % der Baden-Württemberger profitieren durch das Bahnprojekt von kürzeren Fahrzeiten und mehr Direktverbindungen.
Darüber hinaus ist das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm Teil des wichtigen europäischen Fernverkehrskorridors Paris-Bratislava, der zu einer Hochgeschwindigkeitstrasse ausgebaut wird.

Mit der Neugestaltung des Stuttgarter Bahnknotens und der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm entstehen rund
– 120 km neue Schienenstrecken, die mit bis zu 250 km/h befahren werden
– 4 neue Bahnhöfe (neuer Stuttgarter Hauptbahnhof als Durchgangsbahnhof, S-Bahn-Station Mittnachtstraße, Flughafenbahnhof und Abstellbahnhof)
– ein überwiegend unterirdisch verlaufender Schienenring mit einer Ost-West-Ausdehnung von 5 km, durch den Züge von beiden Seiten in den neuen Bahnhof einfahren können.
– zwei völlig neue Stadtviertel in Stuttgart
– Verbesserungen im Fern- und Regionalverkehr

Fakten zu Stuttgart 21
+ Gesamtstreckenlänge: 57 km
+ Davon Schnellfahrstrecke: 20 km
+ Davon Tunnel- und Durchlassstrecke: 33 km
+ Anzahl Tunnel und Durchlässe: 16
+ Anzahl Brücken: 18
+ Geschwindigkeit: max. 250 km/h

Fakten zur Neubaustrecke Wendlingen – Ulm
+ Gesamtstreckenlänge: 60 km
+ Davon Tunnelstrecke: 31 km
+ Anzahl Tunnel: 9
+ Anzahl Brücken: 37
+ Geschwindigkeit: max. 250 km/h

Architektonische Eyecatcher

Charakteristisch für den neuen Hauptbahnhof in Stuttgart ist seine Bahnsteighalle, die von Ingenhoven Architects, Düsseldorf entworfen wurde. Sie überspannt die tiefergelegten Gleisanlagen über die gesamte Länge, ist aber durch das zweifach gekrümmte Schalendach mit den Kelchstützen in überschaubare Einheiten gegliedert. Nach oben öffnen sich gläserne Lichtaugen, so dass der Blick von unten ins Freie geht und die Gleise im Tageslicht liegen.

Das Tragwerk der Bahnsteighalle besteht aus großen, aneinander gekoppelten Betonschalen. Es beruht auf dem Prinzip der Seifenblase bzw. des umgekehrten Hängemodells. Die einzelnen Schalen sind an ihrer dünnsten Stelle nur 40 cm dick. Diese Leichtbauweise wurde von dem Stuttgarter Ingenieur und Architekt Frei Otto entwickelt. Er hat schon 1963 Belastungsversuche mit Seifenblasen gemacht und seither so weltberühmte Bauten wie den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal (1967) oder das Olympia-Stadion in München (1972) geschaffen.

Aus dem Stuttgarter Kopfbahnhof mit 16 Gleisen wird ein um 90 Grad gedrehter und tiefer gelegter Durchgangsbahnhof mit 8 Gleisen. Jeder Bahnsteig ist künftig über 7 Fahrtreppen, 5 Festtreppen und 3 Aufzüge aus allen Richtungen komfortabel und barrierefrei erreichbar.

Bahnhoffinanzierung und Verwertung der Gleisanlagen für eine städtebauliche Neuordnung

Die Deutsche Bahn AG genehmigte im Januar 2018 eine Gesamtkostenschätzung für S 21 in Höhe von 7,7 Mrd € sowie einen weiteren Risikopuffer von 500 Mio €. Die Projektpartner sind das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, das Land Baden-Württemberg, die Deutsche Bahn AG, der Verband Region Stuttgart und die Stadt Stuttgart. Das Gesamtprojekt wird kofinanziert durch die Europäische Union.
Die Stadt Stuttgart erwarb bereits im Jahr 2011 die bei S21 freiwerdenden 118 ha Gleisflächen für 424 Mio €, um eine nachhaltige Stadtentwicklung unabhängig von Investoreninteressen betreiben zu können. Der aktuelle Marktwert dürfte sich um den Faktor 10 erhöht haben?

Abzüglich der Flächen für die Schlossgartenerweiterung, der sog. Gäubahntrasse und von Grün- und Verkehrsflächen, verbleiben letztlich nur ca. 38 ha. als Wohnbauflächen, die von der Stadt ermarktet werden. Allerdings wird erwartet, dass sich aufgrund der hohen Grundstückspreise in der Stadtmitte Bauflächen keine Familien leisten können und die Stadt diese Flächen an Wohnbaugesellschaften veräußere, die ihrerseits exklusive und hochpreisige Wohnungen anbieten werden.
Letztlich profitiert auch die Stadt von den Gesamtinvestitionen in Bahnhof, Infrastruktur und Wohnbauflächen anteilmäßig durch Steuereinnahmen.

Fast alle Teilnehmer des „Erlebnisrundgangs“ waren von der Notwendigkeit eines Ausbaus der Infrastruktur des Bahnhofneubaus mit den erforderlichen Gleisbauten sowie Bahnverbindungen mit Tunneln und Brücken trotz der hohen Kosten überzeugt. Letztlich kommt dieses Jahrhundertprojekt allen Baden-Württembergern, Reisenden aus ganz Deutschland und später der „Europäischen Horizontalen“ von Paris nach Bratislava zugute.

MIT-Kreisvorsitzender Werner Frank dankte den kompetenten Führern der Baustelle S 21 für die umfangreichen Informationen.
Der Abschluss fand in der Fellbacher Besenwirtschaft „Bauerles“ statt.

Schriftführer und Bilder: Thomas Dörr